Blickpunkte

Blickpunkt 81. Ausgabe

Im Gespräch mit Professorin Dr. Annabelle Böttcher

Redaktion: Liebe Frau Professorin Dr. Böttcher, herzlichen willkommen an der DHBW Villingen-Schwenningen. Sie traten am 1. Februar 2020 Ihr Amt als Prorektorin und Dekanin der Fakultät Sozialwesen an, nachdem Sie der Örtliche Hochschulrat in seiner Sitzung vom 14. November 2019 gewählt hatte. Wie sind Ihre ersten Eindrücke?

Annabelle Böttcher: Überaus positiv. Da ich in der Ortenau aufgewachsen und zur Schule gegangen bin, später an der Universität Freiburg Magister und Promotion gemacht habe und anschließend lange im Ausland gelebt habe, freue ich mich über die Rückkehr in die Heimat. Ich mag vor allem den ländlichen Raum mit seinem Freizeitangebot, der frischen Luft, dem reduzierten Verkehr, den kurzen Wegen und den persönlichen Beziehungen. Mein beruflicher Werdegang war bisher ein Pendeln zwischen universitärer Lehre/Forschung und humanitärem Management, daher schien das duale Modell der DHBW gut zu mir zu passen.

Redaktion: Sie haben in vielen Länder der Welt gearbeitet, waren unter anderem im Irak, in Jordanien, im Jemen, in Bangladesch, im Niger, im Libanon, und in der Türkei tätig und lehrten zuletzt als Professorin in Wien und Odense(Dänemark): Was haben Sie aus diesen zahlreichen Erfahrungen mitgenommen, was Ihnen den Einstieg hier erleichtert?

Annabelle Böttcher: Als Delegierte des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes im Bereich des internationalen humanitären Managements habe ich vor allem in Krisen- und Konfliktgebieten unter großem Druck und immer begleitet von unbeschreiblichem Leid, Zerstörung und Gewalt gearbeitet. Die Missionen waren zeitlich begrenzt und man musste sich jedes Mal sehr schnell in einen neuen Kontext einarbeiten und äußerst flexibel auf soziale, politische, wirtschaftliche und militärische Veränderungen des Umfelds reagieren. Das fand ich zunehmend schwierig. Ab 2016 war ich dann als Gastprofessorin an der Syddansk Universitet in Odense auf der Insel Fünen und fand ein geruhsames, planbares Leben mit einem friedvolleren Miteinander für mich passender. Ich hatte bisher keine Berührungspunkte mit dem dualen Modell, finde es aber sehr bezeichnend, dass sich die DHBW mit sehr viel Offenheit und Herzlichkeit auf mein DHBW-untypisches Profil eingelassen hat. Ich denke, dass es eine Zeit des sehr spannenden give-and-take sein wird, aus der beide Seiten bereichert hervorgehen können.

Redaktion: Sie sind promovierte Politikwissenschaftlerin und habilitierten im Fach Islamwissenschaften an der Freien Universität Berlin, zuvor verbrachten Sie im Zuge eines Forschungsprojekts mehrere Jahre in Syrien, dem Libanon und den USA; Was war Ihre schönste Begegnung während dieser Zeit?

Annabelle Böttcher: Ich verdanke sehr viel meiner Mutter, die in den Trümmern des Zweiten Weltkrieges aufgewachsen ist und mir den Weg freigeräumt hat. Dazu kommen sehr viele unspektakuläre »Alltagsbegegnungen« mit geduldigen Menschen, die sich vor allem in der islamischen Welt Zeit für mich genommen haben und mir Sprache, Kultur, Abläufe, Konzepte und Zusammenhänge erklärt haben, wobei natürlich auch sehr viel über sprachliche und kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten gelacht wurde. Ich erinnere mich noch an die Momente voller Heiterkeit, die meine arabische Sprach(un)beherrschung ausgelöst haben und die dann ironischerweise wiederholt wurden, als syrische geflüchtete Bekannte und Freunde dann ihrerseits in Deutschland Deutsch lernten und noch lernen.  

Redaktion: Sie waren unter anderem für das Deutsche Rote Kreuz als Beraterin in humanitären Einsätzen aktiv und beschäftigen sich auch aktuell mit Themen wie Gesundheit und Migration, Flucht und medizinische Versorgung in Kriegs- und Krisengebieten. Gabe es brenzlige Situationen in die Sie gerieten und wie gehen Sie persönlich mit den vermutlich emotional belastenden bzw. erschütternden Eindrücken gerade in Kriegs- und Krisengebieten um?

Annabelle Böttcher: Es gab einige brenzlige und vor allem erschütternde Situationen, wo sich der Abgrund menschlichen Leidens aufgetan hat. Diese sind aber nicht vergleichbar mit denen von Menschen, die ohne das Privileg eines deutschen Passes und eines Diplomatenstatus, unter einer Diktatur und/oder in einem Krieg leben müssen und sich ständig Sorgen über ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen und die ihrer Familie machen müssen.

Ich finde die tiefgreifenden politischen, militärischen und sozialen Umwälzungen im Nahen und Mittleren Osten ausgesprochen besorgniserregend und denke, dass die nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten Mechanismen und Philosophien völlig inadäquat sind.   

Redaktion: Inwiefern können Sie neben dem Amt als Prorektorin und Dekanin Ihre Interessen und Ihre Expertise in der Lehre und Forschung an der DHBW Villingen-Schwenningen einbringen?

Annabelle Böttcher: Als Externe brauche ich natürlich eine gewisse Einarbeitungszeit, um diese Schnittstelle zwischen Lehre, Dekanat der Fakultät Sozialwesen und Rektorat des Gesamtstandortes besser zu verstehen. Ich bin nicht mit einem fertigen Konzept angetreten, sondern mit der Bereitschaft im Prozess des gegenseitigen Kennenlernens in enger Absprache mit den involvierten Akteuren, also den Student*innen, den Dualen Partnern und meinen Kolleg*innen, zur Entwicklung bestehender Strategien und Visionen wie beispielsweise Internationalisierung und Digitalisierung beizutragen. Da habe ich natürlich einiges anzubieten, aber, und das muss man natürlich klar sagen, auch einiges dazuzulernen. In der Fakultät Sozialwesen, wo ich sehr herzlich aufgenommen wurde, geht es uns in der ersten Zeit eher um Konsolidierung und Weiterführung der Geschäfte. In der Lehre werde ich anfangs im Bereich Soziale Arbeit und Politik lehren und mich später mehr zu Themen wie Migration, Flucht, psychische Gesundheit einbringen.

Redaktion: Worauf freuen Sie sich die nächsten Monate am meisten?

Annabelle Böttcher: Sowohl die DHBW als auch Villingen-Schwenningen entdecken zu können.

Redaktion: Abseits der Hochschule: Wofür bringen Sie gerne Energie auf?

Annabelle Böttcher: Die Wochenenden verbringe ich meist mit Familie und Freunden. Zudem arbeite ich noch mit einer Kollegin an einem Buch über Migration, Gesundheit und Geister (jinn) im Islam, das im Mai bei einem amerikanischen Verlag eingereicht werden muss. Ich bin darüber hinaus auch Robert-Bosch-Fellow in SCIANA, einem europäischen Netzwerk für Gesundheitsexperten. Wir halten regelmäßige Treffen ab und diskutieren über europäische und globale Entwicklungen im Gesundheitswesen, vor allem Themen wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz, eHealth, und Innovationen.  

Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch und einen guten Start an der DHBW Villingen-Schwenningen.

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